mag-net-tisch VI

INHALT:

Kein Blatt im Wind

Massenhaltung

Anfeuern

Jack Pot

Rebella

Täuschcharakter

Gute Partie

Textilfragen

Die Nonne

Mensch, ich krieg die Krise!

Kein Blatt im Wind

Ich bin gefallen. Der Boden war ziemlich hart, mein Knie schmerzte. Natürlich hätte ich es besser wissen müssen. Ein Sprung vom Dach ist eben kein Fußmarsch. Ein Vogel könnte gleiten, aber menschliche Wesen ähneln im freien Fall eher einem Stein. Da mögen sie noch so stolz sein, eine Seele zu besitzen. Der Südwind, auf den ich vertraut hatte, hatte mich wohl berührt, konnte mich jedoch scheinbar auch nicht ertragen. Ich fiel durch. Den Absturz selber nahm ich nicht weiter wahr. Alles war derart rasch verlaufen. Ich war ohnmächtig geworden – im doppelten Sinn – versteht sich. Dass mir nicht mehr und Schlimmeres passiert war, grenzte, für sich genommen, an ein Wunder. Ich allerdings wunderte mich nicht weiter, hatte ich doch mit nichts Schlimmem gerechnet, selbst wenn ich mich verrechnet hätte. Meine Leichtigkeit war nun jedoch fürs Erste dahin. Ich musste anfangen, mir darüber Gedanken zu machen, wo und wie ich mich in Zukunft fallen lassen könnte. Immer wieder und überall wurde ständig davon geredet, dass man sich nicht so ernst nehmen, das Leben leicht nehmen sollte. Nach diesem Absturz kam ich mir plötzlich wie ein schweres Mädchen vor. Man redete zwar immer nur von schweren Jungs und leichten Mädchen, für mich kam aber wohl doch eher die Schwere in Betracht, besonders nachdem ich ihre Kraft kennengelernt hatte. Wohl oder übel würde ich nun auf dem Boden bleiben, denn hoch kam ich so schnell nicht wieder. Aus dieser Perspektive von unten hatte ich ein echtes Einsehen mit den Tatsachen und den Dingen. Bei genauerer Betrachtung würde man von oben aus immer wieder das Wesentliche übersehen. Nun konnte ich, unten angekommen, endlich auf dem Grund gehen, auf meinen Füßen stehen.

©Dorothee Vohl
LIBU Verlag e. K.
Freiburg im Breisgau, 2013

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